Laurence Dreyfus

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Laurence Dreyfus, Diskant-Gambist und künstlerischer Leiter von Phantasm, wurde in Boston in eine Familie von Musikern hineingeboren und lernte - von seinem Vater, der Geiger im Philadelphia Orchestra war und seiner Mutter, einer Opernsängerin – Notenlesen, bevor er Englisch lesen konnte. Laurence selbst spielte als Kind Klavier und Cello und hegte früh ein spezielles Faible für Kammermusik, inspiriert von seinem Lehrer Edgar Ortenberg, der in den 1940er Jahren Mitglied des berühmten Budapest Quartet gewesen war. Als Teenager jedoch erstand Laurence eine obskure Aufnahme von Buxtehudes Trio-Sonaten, auf der eine Viola da Gamba im Mittelpunkt stand. Er fühlte sich augenblicklich von dem besonderen Klang dieses Instrumentes angezogen und gelobte, es eines Tages zu lernen.

Zuerst einmal führte ihn seine Begabung jedoch an die berühmte Juilliard School in New York, wo er bei dem legendären Cellisten Leonard Rose Cello studierte und als Gründungsmitglied dem Ensemble angehörte, das heute als Emerson String Quartet Weltruhm genießt. Nach seinem Konzertdiplom an der Juilliard entschied er sich, noch ein akademisches Studium anzuschließen und schrieb sich an der Columbia University für Theologie, Politologie und Musikwissenschaft ein. Während seiner Promotion bei dem Bachforscher Christoph Wolff begann er dann auf eigene Faust Gambe zu lernen und erlag den Reizen dieses Instrumentes nach kürzester Zeit so sehr, dass er es bei Wieland Kuijken am Königlichen Konservatorium in Brüssel studierte, wo er dann in zwei Jahren gleich zwei Diplomstudiengänge glanzvoll absolvierte. 

Im Laufe seiner dualen Karriere als Musikwissenschaftler und Gambist war Dreyfus auf der ganzen Welt unterwegs, forschte als Musikhistoriker, gab Konzerte, hielt Vorträge und Meisterklassen. Er lehrte als Professor an den Universitäten Yale, Stanford, Chicago, am King‘s College London und zuletzt an der Universität Oxford und dem dortigen Magdalen College, und seine Verdienste um die Bach- und Wagner-Forschung wurden unter anderem mit der Mitgliedschaft in der British Academy belohnt.

Sein Umzug nach England in den frühen 1990er Jahren bestärkte Dreyfus in seinem lange gehegten Traum, ein Gambenconsort auf Weltklasse-Niveau zu gründen, das er von der Diskantgambe aus leiten wollte. Es dauerte freilich einige Jahre, bis er die richtigen Mitspieler dafür gefunden hatte, die seine Begeisterung für die englische Consort-Musik teilten und sich nicht davor fürchteten, sich dieser mit einem neuen Ansatz zu nähern. Aber 1994 wurde sein großer Traum wahr: Sein Gambenquartett Phantasm wurde aus der Taufe gehoben – und von Anfang an dafür gerühmt, den Status Quo des Consort-Spiels durch seinen brillanten, dynamischen Klang in Frage zu stellen, der auf historischen Praktiken beruht, aber auch auf einer souveränen Bogenführung und meisterlichen Streichertechnik, die an die expressiven Traditionen der Streichquartette des frühen 20. Jahrhunderts, wie das Flonzaley und Busch-Quartett angelehnt ist. So brachte Dreyfus in Phantasm sein jugendliches Interesse für Kammermusik mit seinem musikhistorischen Wissen zusammen.

Für ihn müsse die Alte Musik nicht in einem Ghetto existieren, meint der Gambist, denn sie weise intime Beziehungen zum Mainstream und selbst zeitgenössischer Musizierweise auf, indem sie Leuchttürme der Musikgeschichte, wie Byrd, Gibbons, Locke oder Lawes wieder in das Bewusstsein des heutigen Musiklebens bringe. Credo in unam musicam, so könnte man Phantasms Leitidee formulieren.

Für die Dekade 2005-2015 war Phantasm Consort-in-Residence an der Oxford University und dem Magdalen College.

Als Gambist und Cellist arbeitete Laurence Dreyfus für Konzerte und Aufnahmen mit zahlreichen anderen führenden Persönlichkeiten in der Alten Musik zusammen, und gab außerdem viele Jahre lang regelmäßige Sommerkurse in Portugal, den USA und Norwegen (wo er – kein Zufall! – drei der heutigen Phantasm-Mitglieder kennenlernte). 2015 zog Dreyfus sich von seiner Lehrtätigkeit in Oxford zurück, um mehr Zeit für Konzerte und unabhängige Forschung zu haben. Er wurde sowohl von der Universität, als auch vom College mit dem Titel des Professor Emeritus geehrt.

Drei vielgelobte und einigen Staub aufwirbelnde Bücher – zwei über J.S. Bach, eines über Richard Wagner –, sowie ungezählte Fachartikel und einige Dutzend CD-Einspielungen, von denen viele mit internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, machten ihn weit über typische Musikwissenschaftler- oder Alte-Musik-Kreise hinaus bekannt.

Der Gambist lebt inzwischen in Berlin, wo er einstmals als Doktorand zwei inspirierende Jahre mit Bach-Forschung auf beiden Seiten der (damaligen) Mauer verbracht hatte. Nach einem knappen Vierteljahrhundert in England fand er hier nun seine neue Basis, von der aus er weiterhin forscht, konzertiert und neues Repertoire aufnimmt, um es Musikliebhabern auf der ganzen Welt nahe zu bringen.

David Skudlik